Samstag, 20. Juni 2015

Vernünftiges Gefühlschaos



Sie saß auf der Terrasse, mit einem Glas Rotwein in der Hand und blickte auf die Windräder die sich nur langsam bewegten. Wie sehr sie sich in diesem Momente wünschte das sich ihre Gedanken genau so langsam fortbewegen könnten. Ihr Kopf war überfüllt, überfüllt von allem und nichts. Die Vögel zwitscherten ein Abendlied im Birkenbaum. Sie nahm einen Schluck Wein, er schmeckte lieblich und hinterließ einen zarten Hauch Himbeeren an ihrem Gaumen.  Am Himmel zogen dunkle Wolken auf aber sie konnte kein Bild erkennen. Sie blickte auf ihre Arme auf denen sich Gänsehaut gebildet hat. Für Mitte Juni waren die Temperaturen erfrischend kühl, nein nur kühl und absolut nicht erfrischend. Sie stand auf und schlenderte ins Haus, öffnete den Kleiderschrank und zog sich ihren schwarzen Kapuzenpulli an. Sie griff noch zu ihren Zigaretten, den MP3 Player und schnappte sich ihre schwarz/lila Kuscheldecke.
Zurück auf der Terrasse wickelte sie ihre Beine in die Decke und zündete die Kerze an. Mit dem Glas Rotwein und der Zigarette in der Hand starrte sie in die Flamme die mit dem Wind tanzte.  Ihr Kopf füllte sich kurz mit Leere aber der Gesang der Vögel riss sie immer wieder aus dem Nichts. Woran sie denken sollte oder wollte wusste sie selbst nicht. Das Glas Wein hielt sie gegen die Kerze und betrachtete das funkelnde rot. Der Kopf überfüllt aber sie konnte noch keinen klaren Gedanken fassen. Die Vögel wurden leiser, die Stille erdrückend. Sie setzte den Kopfhörer auf und lauschte den melancholischen Klängen von Dreadful Shadows. Hat sich etwas verändert oder hat sie sich verändert? Es ist nichts Außergewöhnliches passiert oder hatte sie etwas übersehen oder sogar „überfühlt“ und ihr Unterbewusstsein wollte sie darauf aufmerksam machen.
Vor Tagen sagte ihr jemand sie könnte etwas offener sein, war es das was sie verwirrte. Offen war sie doch! Offen für Menschen, offen für Meinungen, offen für tiefsinnige Gespräche, offen für Scherze, offen für … nein, um sich selbst zu öffnen dafür war sie nicht bereit. Wozu auch? So wie es lief war es doch gut. Etwas kompliziert zu machen das lag nicht in ihrem Interesse. Sollte sie in eine Welt voll Illusionen eintauchen und letztendlich sich selbst oder andere verletzen. Sie hörte immer auf ihren Verstand und nicht auf ihr Herz. Wo hatte sie ihr Herz schon hingebracht? Ehe sie etwas tat hörte sie auf ihren Verstand. Sagte dieser „nein“ überdachte sie es zwar nochmal aber es blieb meist bei einem nein.
Nach einem großen Schluck Wein dachte sie daran dass der Wein die Zunge lockert. Mit genug Wein fällt das reden viel leichter, man ist weniger gehemmt und schießt einfach mit der Wahrheit raus. Außerdem war das praktisch, man hatte am nächsten Morgen eine vernünftige Ausrede und konnte es auf den Alkohol schieben. Sollte sie noch ein Glas zu sich nehmen? Schon meldete sich ihr Verstand. Lockert Wein womöglich auch die Gedanken? Schmunzelnd saß sie da, schloss ihre Augen und malte sich gedanklich ein faszinierendes, anregendes Bild. Sie atmete tief ein, griff zur Zigarette und wollte sich nicht so recht der Illusion hingeben.
Plötzlich fielen ihr die Worte ihres letzten Partners ein „Du bist ein richtiger Kontrollfreak. Schalte endlich deinen Verstand aus und mach das was dein Herz sagt. Steh dir nicht selbst im Weg und lass dich gehen, lass es einfach nur geschehen“.  Sie riss ihre Augen auf, schüttelte den Kopf „Ich bin kein Kontrollfreak, nur vorsichtig ... sagt mir mein Verstand.“ Dann ging sie ins Haus und ließ all ihre Gedanken vor der Tür in der dunklen Nacht.

Eure vernünftige
~ Vicky ~


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